Delir und Demenz in der Gerontopsychiatrie: Klinische Charakterisierung und Analyse des Bewegungsverhaltens

Thiemo Schnorr1,2, Janina Fanseloh3, Rieke Trumpf1,2, Tim Fleiner1,2,4, Wiebren Zijlstra2, Peter Häussermann1,2

1Abteilung für Gerontopsychiatrie & Psychotherapie, LVR-Klinik Köln, Köln
2Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie, Deutsche Sporthochschule Köln, Köln
3Universität zu Köln, Köln
4Institut für Geriatrische Forschung, Universitätsklinikum Ulm, Ulm

1. Zielsetzung/Fragestellung

Die Studienlage über das Bewegungsverhalten von Patient*innen in der gerontopsychiatrischen Akutversorgung und die Auswirkungen auf psychiatrische Symptome ist derzeit noch sehr dünn. Die vorliegende Studie beschäftigte sich daher mit der Frage, ob das Bewegungsverhalten von gerontopsychiatrischen Patient*innen mit einer Delir- und/oder Demenz-Diagnose Einfluss auf die Ausprägungen neuropsychiatrischer Symptome und die dadurch entstehende Pflegebelastung hat. Ziel war es, über einen Zeitraum von einem Jahr, Patient*innen mit Delir und/oder Demenzerkrankung aufgrund ihres Bewegungsverhaltens zu charakterisieren, anschließend in Subgruppen einzuteilen und auf Unterschiede hinsichtlich neuropsychiatrischer Symptome und der Pflegebelastung zu untersuchen.


2. Materialien/Methoden

Zwischen Juni 2021 und Juni 2022 wurden Patient*innen mit Delir und Demenz (nach ICD-10 Kriterien), die in die LVR-Klinik Köln eingewiesen wurden, für eine Teilnahme gesichtet. Einschlusskriterien waren: (1) 60 Jahre und älter und (2) schriftliches Einverständnis des/der Patient*in bzw. eines gesetzlichen Vormunds. Innerhalb 72 Stunden nach Aufnahme wurde mit der Bezugspflegefachkraft die DMSS (Delirium Motor Subtyping Scale), zur Erfassung des Bewegungsverhaltens und Einteilung von Patient*innen in einen der vier Subtypen: (a) hyperaktiv (erhöhte Aktivität, Agitation), (b) hypoaktiv (Inaktivität, Lethargie), (c) gemischt (hyper- & hypoaktive Auffälligkeiten) und (d) kein Subtyp, durchgeführt. Außerdem wurde der NPI (Neuropsychiatric Inventory), zur Erfassung der neuropsychiatrischen Symptome und der Pflegebelastung, durchgeführt. Patient*innen wurden anschließend für die weitere Analyse hinsichtlich des motorischen Subtyps (hyperaktiv, hypoaktiv, gemischt, kein Subtyp) in vier Subgruppen eingeteilt.


3. Ergebnisse

Es wurden 97 Patient*innen (M = 79 ± 7 Jahre; 48% Delir; 52% Demenz) in die Studie eingeschlossen. Die Diagnose zeigte keinen Unterschied in der Stichprobencharakteristik (Alter, BMI, etc.) und hatte keinen Einfluss auf die Ausprägung neuropsychiatrischer Symptome (p = .41) und die Pflegebelastung (p = .19). Auch unterschieden sich die Delir- und Demenzgruppe nicht hinsichtlich der Verteilung der motorischen Subtypen (p = .53). Der hyperaktive Subtyp (39%) war der dominanteste motorische Subtyp, gefolgt von dem hypoaktiven (27%) und gemischten (13%). 21% Patient*innen zeigten keinen motorischen Subtyp. Das Bewegungsverhalten hatte keinen Einfluss auf den Gesamt-Score des NPI (p = .07) wohl aber auf die Pflegebelastung (p = .01). Hier wurden Patient*innen mit aktiverem Bewegungsverhalten (hyperaktiv & gemischt) als signifikant belastender wahrgenommen.


4. Zusammenfassung

Patient*innen mit Delir und/oder Demenz in der Gerontopsychiatrie können mit einem standardisierten Assessment bezüglich ihres Bewegungsverhaltens in motorische Subtypen eingeteilt werden. Obwohl der motorische Subtyp keinen Einfluss auf die Entwicklung und Ausprägung neuropsychiatrischer Symptome zu haben scheint, werden Patient*innen des hyperaktiven Subtyps, also einer deutlich erhöhten körperlichen Aktivität bis hin zur Agitation, hierbei als deutlich belastender in der Pflege empfunden. Vor allem Patient*innen die dem hypoaktiven Subtyp (hohe Inaktivität, Lethargie) angehören werden daher als deutlich weniger belastend empfunden, zeigen laut Studienlage allerdings ein signifikant höheres Mortalitätsrisiko im Vergleich zu den anderen Subtypen und benötigen daher ein erhöhtes Maß an engmaschiger Betreuung. Die Analyse des Bewegungsverhaltens und Einteilung in motorische Subtypen von gerontopsychiatrischen Patient*innen mit Delir und/oder Demenz kann daher unterstützend in Diagnostik und Versorgung dieser Patientengruppe dienen und auf Patient*innen mit ungewöhnlicher motorischer Aktivität als auch Inaktivität aufmerksam machen und eine frühe Möglichkeit für Interventionen bieten.

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