"Auf einmal war sie eine andere Person." - Die Perspektive von Angehörigen von Menschen mit einem Delir
Eva Trompetter1, Marleen Schönbeck2, Annette Nauerth2, Stefan Kreisel3
1Evangelisches Klinikum
Bethel, Universitätsklinik für
Psychiatrie und Psychotherapie, Abteilung für Gerontopsychiatrie, Bielefeld
2Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Gesundheit, Bielefeld
3Evangelisches Klinikum Bethel, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Bielefeld
1. Zielsetzung/Fragestellung
Angehörige sind eine wichtige Ressource, sowohl bei der Versorgung von
Menschen mit einem Delir, als auch in der Delir-Prävention. Ihre Perspektive
wurde bisher vor allem im Kontext der Intensivmedizin untersucht. Weniger bekannt
ist, welche Herausforderungen ein Delir außerhalb des Settings Intensivstation,
etwa auf einer Normalstation oder in der
eigenen Häuslichkeit der Betroffenen, mit sich bringt. Hier setzt die
vorliegende Studie an, deren Ziel es war, das Erleben der Angehörigen,
ihr Bewältigungsverhalten und ihre Erfahrungen im Versorgungssystem zu
erfassen.
2. Materialien/Methoden
Entsprechend der Zielsetzung der
Studie wurde ein qualitatives Forschungsdesign gewählt.
Die Datenerhebung erfolgte mittels leitfadengestützter Interviews. Es
wurden zwölf Gespräche mit Angehörigen geführt, davon zehn
Frauen und zwei Männer, die zwischen 32 und 65 Jahre alt waren. Die Interviews
beziehen sich auf elf Fälle, da in einem Fall zwei Angehörige teilnahmen. Überwiegend
war ein Elternteil der Teilnehmenden betroffen. Bei acht Fällen ist das
Delir im Krankenhaus aufgetreten, davon bei dreien postoperativ. Zwei Betroffene
sind in der eigenen Häuslichkeit delirant geworden. In einem Fall bestand
eine Delirgefährdung während eines Krankenhausaufenthalts, die dazu
führte, dass die betroffene Person in einem Delir-Präventionsprogramm
betreut wurde. Die Auswertung der Interviews erfolgte mittels inhaltlich strukturierender
Inhaltsanalyse mit deduktiv-induktiver Kategorienbildung nach Kuckartz (Kuckartz
2018).
3. Ergebnisse
Die Interviews machen deutlich, dass Angehörige von Menschen mit einem Delir hohen emotionalen Belastungen ausgesetzt sind. Diese resultieren etwa aus Persönlichkeits- und Verhaltensveränderungen der Betroffenen sowie der Sorge darüber, wie sich deren Gesundheitszustand entwickeln wird. Oftmals fühlen sich die Angehörigen überfordert und hilflos, beispielsweise im Hinblick auf den Umgang mit den Betroffenen oder die Gestaltung des Versorgungsarrangements. Unterstützung und Rat finden sie überwiegend im privaten Umfeld. Gespräche und der Zusammenhalt innerhalb der eigenen Familie sind wichtige Ressourcen für die Interviewpartner:innen. Im Versorgungssystem machen sie unterschiedliche Erfahrungen. Teilweise ist eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Versorgung der Betroffenen gewährleistet. Überwiegend sind die Teilnehmenden aber mit Wissens- und Informationsdefiziten seitens der professionellen Akteur:innen konfrontiert. Dementsprechend schätzen sie vor allem qualifizierte Ansprechpartner:innen und regelmäßige persönliche Gespräche.
4. Zusammenfassung/Schlussfolgerung
Ein Delir stellt das gesamte soziale System der Betroffenen vor große Herausforderungen. Das Versorgungssystem ist weder hinreichend an den Bedarfen und Bedürfnissen von Menschen mit einem Delir ausgerichtet, noch an denen der Angehörigen. Neben den für die Angehörigenarbeit erforderlichen Rahmenbedingungen und Konzepten sind zielgruppengerechte Informationen und Angebote erforderlich. Für deren Konzeption und Weiterentwicklung bieten sich partizipative Entwicklungs- und Evaluationsprozesse an.
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